Ein weiteres Jahr ist ins Land gezogen und verdammt viel ist passiert, was den wenigsten gefallen hat. Aber die Geburtstage bleiben eine Möglichkeit sich an die guten Dinge zu erinnern. Und Alan Bangs gehört bestimmt dazu mit all dem, was er so vielen mit auf ihren Weg gegeben hat.
Das bestätigt sich auch durch dem Kommentar vom Dezember 2021, den ich erst jetzt wiederfand und am heutigenGeburtstag mit in den Blog gestellt habe.
Alan, long may you run – and hope to hear and see from you some time again, as appreciated from most of yours followers!
Während wir in Berlin zu Patti Smith in die Zitadelle Spandau wandern – eine schöne Art Alan Bangs‘ Geburtstag zu feiern! See you there!
Wie das damals internetmäßig bei mir mit Alans Nightflights begann…
Montag, 16. Juni 2003 – die Tagebuch-Reflektion
Zu Alan Bangs: Es war ja (bisher) gar nicht vorstellbar, was jetzt möglich ist: Dass man mithilfe des Internets zurzeit weltweit auf fast alle Musikstücke zugreifen kann:
1. Irgendwer hat bestimmt irgendwo eine mp3-Datei fast jeden Musikstückes mal online gestellt und über Tauschplattformen wird es verbreitet.
2. Und dann gibt es eben auch zu fast jedem Künstler irgendeine Fanseite mit Lebenslauf und veröffentlichten und unveröffentlichten Alben, Konzertdaten, Band-Mitglieder und vor allem auch
3. Liedertexte, bei denen es früher fast aussichtslos war, insbesondere von relativ unbekannten Musikern – aber auch selbst bei bekannten – mal den Text von genau dem Lied zu bekommen, bei dem man eine entscheidende Zeile nicht richtig versteht. Das ist heute fast kein Problem mehr.
Fast alles hat seine Liebhaber gefunden und wird gesammelt und so bin ich zum Beispiel auch über das Forum www.dampfradio.de (damals 2003!) an die Person geraten, die mir jetzt freundlicherweise gleich einen ganzen Stapel von CDs mit Alan Bangs-Musik zugeschickt hat.
Dafür hat man heute noch viel mehr als früher das Problem der Auswahl, Reduktion der Riesenmaterialberge auf ein fassbares Maß: Es wird sonst immer mehr, mehr, unbewältigbare Massen von Material. Man kann nicht mehr alles haben!
Sortierkriterien, Beschränkung auf das Wesentliche werden immer wichtiger. Und das fällt mir sehr schwer. Und ich bin immer wieder beim Weiterausbauen, mehr sammeln in der Breite statt in die Tiefe. Doch merke ich es allmählich – glaube ich zumindest. Einerseits, weil die Energie auch schneller erlahmt, und der Kick auch einfach nicht mehr stark genug ist (was ich unbedingt noch viel mehr brauche, um zufrieden zu sein).
Gleichwohl beeindruckt es mich sehr, dass so vieles dabei wieder aus mir heraus kommt, Gefühlsbewegung, an Stimmung, die diese Lieder einmal bei mir ausgelöst haben. Es ist nicht so weit weg, ich habe mich regelrecht gewundert, dass mir beim lauten Lesen des ausgedruckten Textes von „The Thrasher“ von Neil Young tatsächlich leicht die Stimme brach, mir Tränen in die Augen kamen bei der Zeile „The Great Grand Canyon Episode“: „Where the vulture glides descending…“
Die Kraft der Lyrik, der Melodie und des Ausdrucks der Stimme von Neil Young sind gerade in diesem Lied für mich absolut zwingend. (weitere Auszüge: „So I got bored and left them there, burnt my credit Card for fuel, headed out to where the pavement turnes to sand…
They were just dead weight for me, better be on the road without that load…
But me, I’m not stopping there, got my own row left to howe…“
Das ist so ein typisches Beispiel, wo du erst mit dem Originaltext die wörtliche Bedeutung findest, wobei ich jetzt noch nicht einmal weiß, ob ich es richtig zitiert und korrekt geschrieben habe, aber das ist auch nicht das wichtigste, die Wirkung war auch ohne die genaue Textkenntnis schon da.
Sie setzt nur noch das i-Tüpfelchen drauf auf eine absolut gelungene Scheibe.
Eigentlich sind diese Zeilen ziemlich arrogant und besserwisserisch formuliert, denn dadurch stellt man sich neben, eher über, jedenfalls aber außerhalb dieser Leute, so wie es Neil da singt und man sich damit identifiziert. Man hat „es“ als einer der wenigen erkannt und reitet (symbolisch) hinaus in den Sonnenuntergang – dieses ewig neue Suchmotiv. Was die anderen gefunden haben, reicht einem selber nicht. Man tut dabei so, als habe man selbst nicht dazu gehört, habe es schon immer besser gewusst oder jedenfalls rechtzeitig gemerkt, und zieht daraus seine Konsequenzen. Das entscheidende Impuls aber ist: noch nicht gefunden zu haben, noch nicht fertig zu sein, auf dem Wege sein; das Ziel noch nicht erreicht, aber voll Erwartung nach der Enttäuschung… mit dem (vermeintlichen) Klarersehen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in Young-Text früher auch mehrfach zitiert habe, schon vor Jahren. Ich meine, zum Teil ist es auch eine direkte Übernahme von Alan Bangs, der meiner Erinnerung nach gerade diese Zeile mit dem „Dead Weight“ selbst immer wieder im oben genannten Sinne eingesetzt hat. Wobei ein Teil der Faszination war, dass er es so gut schaffte, dass ich mich selbst in dieser Stimmung wieder erkannte, die er (in seinen Radiosendungen) herüberbrachte.
Gewundert hat mich im Nachhinein aber auch, dass die Sendung „Nightflight“ erst 1975 begonnen hat, ich hatte sie in meiner Erinnerung schon früher angesetzt. Aber es passt schon: meine Leidenszeit in Liebesdingen habe ich dann nachts von 22-24 Uhr später von Mitternacht bis 2:00 Uhr von Sonntag auf Montag in diese Lieder projiziert, seine Sendungen zu meinem Medium erkoren, mit dem ich meinte meine Gefühle ausdrücken zu können, womit ich sogar Einfluss nehmen wollte. Sowie Alans Musikauswahl auf mich wirkte, so sollte meine Auswahl seiner Lieder auf die Frauen wirken, denen ich dir entsprechend bespielten Kassetten gab oder die ich sogar per Post zusandte: eine merkwürdige Kommunikationsform, die wenig erfolgversprechend war und meistens auch kaum verstanden wurde.
Spontan kommt aus dem Gedächtnis als nächstes noch das Zitat eines anderes Liedes herauf: „If I were a God, and knew what to do, this minute would crack, and I would go through.“
Aber der Refrain des Songs wendet es in volles Selbstmitleid:“ It isn’t gonna be that way...“
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Das Ganze hat mich am Sonntag zu Folgendem gebracht: Ich konnte mich nicht zurückhalten und habe alle CDs durchgesehen und die meisten gespeicherten Sendungen mehrfach angespielt und kriegte dabei solange nicht genug, bis ich endlich bei der letzten Sendung angelangt war. Ein großer Schatz, aber reichlich ungeordnet zusammengestellt, also wieder eine typische Sortieraufgabe. Aber immerhin weiß ich jetzt aus dem Munde des Meisters, dass er die 1. Sendung am 25. Mai 1975 und die letzte am 9. April 1989 gemacht hat und dass das genau 700 Nightflight-Sendungen gewesen sein sollen. Und auch welches Lied er zu Beginn der ersten und am Ende der letzten Sendung gespielt hat.
Ein kleiner Kosmos von Musik und auch in der letzten Sendung hatte er es nicht unterlassen, die Hörer aufzufordern, das selbst zu hören und zu tun, was man selbst will nicht den aktuellen Musiktrends nachzulaufen. Aber auch nicht ihm!
Da ist er wieder, der Punkt: Wann ist der Zeitpunkt gekommen, „to give what’s mine?“ (The Thrasher) oder ist es nicht vielmehr die Art, wie man es tut? „Not stopping there“, nicht stehen bleiben bei „heated pool and bar“, sondern schauen, wohin der Weg gehen soll die Chancen ergreifen, nicht teleologisch das einzig Richtige tun wollen, sondern durch Ausprobieren und Erspüren das jeweils Richtige tun, Entscheidungen nach vorne treffen auf Basis der eigenen Erfahrungen und dessen, was man erfasst und erkannt hat: „Don’t loose track!“ (Ende des Eintrages)